
BILDUNGSAUSTAUSCH
KRAKOW WEIMAR
Das Interview mit Janusz Garlicki wurde während der 1. Begegnung in der Gedenkstätte Buchenwald geführt. Janusz Garlicki war einige Wochen im Stammlager in Buchenwald, bevor er 1944 in ein Außenlager des KZ Natzweiler, in die Adlerwerke nach Frankfurt am Main gekommen ist.
Auszüge aus dem Gespräch können Sie hier nachlesen (zur besseren Lesbarkeit und Verständlichkeit wurden einige Worte geändert, ohne jedoch die inhaltlichen Aussagen zu verändern).
„Sie haben sich verspätet, General Patton!“
Also, meine Geschichte beginnt am 7. August 1944, zugleich der 7. Tag des Warschauer Aufstandes. Wir wurden an diesem Tag von Warschau mit dem Zug nach Buchenwald gebracht und so wurde auch der Transport „Warschau“ genannt. Wir waren ca. 2.500 Menschen in diesem Transport und wurden gleich nach unserer Ankunft für nicht ganz zwei Wochen in das sogenannte „Kleine Lager“ im Stammlager Buchenwald gebracht. Von dort ging es weiter nach Frankfurt am Main, wo man einige Monate später, nämlich im März 1945, Kämpfe zwischen den Amerikanern und Deutschen vernehmen konnte, die sich wohl um den Flughafen in Frankfurt drehten. So wurden wir in dieser Zeit auf Marsch gesetzt und mussten Frankfurt verlassen. Es ging nach Fulda und Hünfeld, was sich ca. 120 km von Frankfurt entfernt befindet. Der Weg führte uns von Fulda in einem weiteren Transport zurück in das Hauptlager Buchenwald.
Als wir in Buchenwald ankamen, waren wir dort etwa zehn Tage. Während dieses Transportes, der etwa eine Woche dauerte, bekamen wir nichts zu essen und nichts zu trinken. Am 9. oder 10. April 1945, also kurz vor der Befreiung von Buchenwalds durch die Amerikaner, mussten alle Häftlinge, die im „Kleinen Lager“ waren, zu Fuß nach Weimar gehen. Von dort aus wurden wir wieder mit dem Zug transportiert.
Ich weiß das nicht genau, aber ich denke, wir waren zirka 5.000 Menschen. Das kann ich noch einschätzen, denn es gab etwa 50 Waggons und in jedem Waggin wurden etwa 120 Häftlinge eingesperrt. Wir mussten uns im Waggon auf den Boden hinsetzen und unser Gesicht ganz tief an die Knien heran ziehen. Wir konnten uns nicht bewegen. Wir wurden mit Güterwaggons transportiert. Wenn es regnete, dann hatten wir ein bisschen Wasser. Wir fuhren ins Ungewisse. Die Reise, wenn man das als Reise bezeichnen kann, dauerte sechs Tage uns sechs Nächte. Wir verbrachten eine Woche hungrig, ohne Essen und ohne Trinken.
Ich suche hier nach Chemnitz (auf einer ausgebreiteten Karte), da wir während der Fahrt zwei Mal in dieser Stadt waren. Zu der Zeit konnten wir das nicht begreifen, was das alles bedeutet. Jetzt weiß ich, dass die SS-Männer gar nicht wussten, wohin wir fuhren. Wir fuhren entlang der tschechischen Grenze. Und an der tschechischen Grenze gab es viele Ortschaften. Wir sind zu Fuß in das Lager Flossenburg gekommen. Es ist mir wichtig, dass ihr versteht, was mit einem Menschen geschieht, der sechs Tage nichts isst und sich nicht bewegen kann. Und danach muss dieser Mensch auf einmal sofort dreißig Kilometer nach Flossenburg marschieren. Wenn Ihr versucht, zwei Stunden lang an einem Ort ohne Bewegung zu sitzen, dann werden Euch die Knie und Knochen weh tun. Nach zwölf Stunden solchen Sitzens will man vor Schmerz schreien. Nach sechs Tagen uns sechs Nächten in einer solchen Sitzposition, fühlte man sich wie ein Holzblock. Man konnte sich nicht bewegen. Und ich dachte mir, ich wäre noch fit, aber ich war es nicht. Ich sprang aus dem Waggon, meine Knie konnten das nicht mehr aushalten und ich bin dann gefallen. Und so sind alle wie Säcke, wie Holzstücke gefallen und dann gekrochen, weil man sich nicht bewegen konnte.
In Flossenburg waren wir vier Tage lang. Zu dieser Zeit näherte sich die amerikanische Armee von General Patton an Flossenburg heran. Wir wurden wieder „evakuiert“ und mussten wieder zu Fuß marschieren. In Richtung der Donau, in einem kleinen Örtchen, ist es meinem Kameraden und mir gelungen, zu fliehen. Das war eine kluge, aber auch eine dumme Entscheidung. Warum das eine dumme Entscheidung war: Wir haben später erfahren, dass die Amerikaner die Häftlingskolonne schon nach vier Stunden erreicht und befreit hat, wir hingegen saßen noch zwei Tage hungrig im Wald. Ich habe darüber ein Buch geschrieben und es heißt: „Sie haben sich verspätet General Patton“.
Warschau 1944
Da waren wir an die 2.500 Warschauer Zivilisten. Ich habe euch gesagt, dass mein Abenteuer in Warschau angefangen hat. Ich hoffe, dass ihr etwas über den Warschauer Aufstand von 1944 wisst, aber ich weiß auch, dass in Deutschland die zwei großen Aufstände, der des Warschauer Ghettos von 1943 und der Warschauer Aufstand von 1944, häufig verwechselt werden. Als der Aufstand begann, gab Himmler den Befehl, dass alle Polen unabhängig vom Alter und Geschlecht getötet werden sollten. Am 5. August wurden in Wola, einem Warschauer Stadtviertel, wurden gemäß den deutschen Quellen ca. 15.000 Tausend Warschauer Zivilisten erschossen. Der Kommandant dieser Einsatzgruppe, die die Erschießungen durchführte, meldete später: „Ich habe zu wenig Munition und zu viele Gefangene“. Aber nach einigen Tagen änderte Heinrich Himmler seine Befehle. Das hing damit zusammen, dass notwendiger denn je Arbeitskräfte für Deutschland gebraucht wurden.
So sollte die gesamte Warschauer Bevölkerung ausgesiedelt werden. Alle Arbeitsfähigen sollten nach Deutschland transportiert, alle anderen und diejenigen, die auf irgendwelche Weise am Warschauer Aufstand beteiligt waren, sollten sofort erschossen werden.
Alle Arbeitsfähigen wurden als potenzielle Arbeitskraft wahrgenommen und auch so behandelt. Die Soldaten kamen zu unseren Häusern. Durch die Befehlsänderung, wurde ich nicht erschossen. Ich konnte Deutsch und ich hatte Dokumente, die ich vorzeigte. Auf diese Weise konnte ich wohl beweisen, dass ich in diesem Haus wohnte und nicht zu den sog. „Banditen“ (also den Aufständigen) gehörte.
Es war der schlechteste Tag in meinem Leben. Ihr könnt euch vielleicht vorstellen, was man als junger Mensch oder als Warschauer Bürger fühlt, wenn man durch ganz Warschau durchschreitet und die Hände hoch halten soll.
Wir haben die brennenden Straßen, verbrannte Häuser gesehen. Unter den Füßen lagen viele Glasscherben. Aber auch Leichen der ermordeten oder verbrannten Menschen haben wir auf dem Boden liegen sehen. Da die Häuser brannten, landete ständig Asche auf unseren Köpfen.
„..wie ein Sklave auf dem Sklavenmarkt..“
Ich hatte nicht mehr Glück, als ich am 13. August 1944 hier auf der Buchenwalder Rampe ankam. Als wir alle unsere Sachen auf dem Appellplatz gelassen hatten, mussten wir zum Waschraum gehen und danach zum Friseur, wo uns alle Haare geschoren wurden. Als wir den Waschraum verlassen und unsere neue Kleidung bekommen haben, sah ich auf der anderen Seite 2.500 gleich angezogene Häftlinge, Warschauer in Häftlingsanzügen. Es war sehr still unter uns und danach schrie jemand: „Liebe Leute, aber wozu?“ Eine naive Frage.
Hitler hat das Konzentrationslagersystem aufgebaut, um seine Opponenten zu vernichten und ein Terrorsystem einzuführen. Warum wählte Hitler Konzentrationslager? Weil es eine einfache Lösung war. Wenn man jemanden ins Gefängnis hinschleppen wollte, brauchte man irgendwelche Prozesse oder rechtliche Grundlagen und hier war die Entscheidung, ob jemand ins Konzentrationslager verschleppt werden sollte, keine rechtliche, sondern eine Verwaltungsentscheidung. Jeder Kreisleiter hatte das Recht, hatte die Möglichkeit auf jeden zu zeigen und sagen; „Das ist der Feind“. Das war schon der Grund, um diese Person, ins Konzentrationslager zu schicken.
Die SS war natürlich daran interessiert, dass so viele Häftlinge ins Lager kamen, wie das Lager nur aufnehmen konnte. So geriet ich auch unter die 2.500 Männer, die als arbeitsfähig eingestuft wurden. Wozu brauchten sie uns? Das Konzentrationslager waren ein Instrument der Vernichtung und so war es auch am Ende des Krieges. Wir waren Eigentum der SS. Sie konnten uns prügeln, sie konnten uns erschießen, sie konnten alles mit uns tun. Sie konnten auch dank unser etwas verdienen. Sie brauchten Geld für ihre Häuser (..) also, sie brauchten eigenes Geld, das sie verdient hatten. Und andererseits wurde die Arbeitskraft ständig in der Industrie gebraucht, besonders in der Rüstungsindustrie. Wie gesagt, sie konnten die Häftlinge prügeln, und in den Fabriken wurde die Arbeitskraft gebraucht. Und jetzt treten diese beiden Seiten in Kontakt. Und jetzt möchte ich diese Situation, die ich geschildert habe, auf meine Situation beziehen.
In Buchenwald waren wir im Kleinen Lager, und eines schönen sonnigen Tages, das war August und es war heiß, mussten wir 2.500 Männer aus Warschau uns in einer Reihe aufstellen. Endlich war ich dran. Ich stand neben bereits angezogenen Männern. Ich stand nackt da. Einige Männer kamen zu mir, betrachteten mich und ich musste mich umdrehen. Wir mussten den Mund weit öffnen, wodurch ich erfuhr ich, dass mir zwei Zähne fehlten. Dann fragte mich der Mann höflich, ob ich gesund sei. Ich verneinte ebenso höflich und sagte: “Nein, ich habe Herzschmerzen“. Er lächelte ganz herzlich und legte meine Nummer auf den Tisch.
Und so kam es zur Transaktion, wie man das nennen kann, zur Vermietung, denn ich wurde von der SS an die Adlerwerke in Frankfurt/ Main vermietet. Vielleicht könnt Ihr Euch das vorstellen, als ich da vor diesem Mann stand, als er mich betrachtete, als er sich meinen Mund anschaute. Ich habe mich so gefühlt, wie ein Sklave auf dem Sklavenmarkt. (...) So bin ich in Frankfurt gelandet.
Frankfurt – Adler Werke
Diese Reise war nicht so anstrengend, denn sie dauerte nur 2 Tage. In Frankfurt arbeiteten wir in den Adlerwerken, die Ersatzteile für Panzer und andere wichtige Rüstungselemente produzierten. Dank der Arbeit konnten wir unser Leben verlängern aber mit jedem Tag näherten wir uns gleichzeitig dem Tod. Und ich hatte wieder Glück. Wieder rettete mich die Tatsache, dass ich ein bisschen Deutsch konnte. Vielleicht rettete mich meine Auskunft gegenüber dem SS Unterscharführer Lendzian: „Ich bin Fleischer von Beruf“, was nur bedingt der Wahrheit entsprach. Zwei Tage später standen wir wieder in einer Schlage. Es kamen der SS Unterscharführer Lendzian mit einem großen SS-Mann und sie sagten, wer Koch sei und deutsch spräche, solle doch raus treten. Dies tat ich nach einer Weile und so geriet ich in diese Funktion.
Die größte Todesursache in den Adlerwerken war der Hunger. Nur ein minimaler Teil wurde uns von der Firma, denn man wollte ja schließlich Geld verdienen, für unsere Ernährung bestimmt. Wir hatten gar nichts. Wir hatten kein Handtuch, wir hatten keine Seife, den Kamm brauchten wir nicht, weil wir keine Haare mehr hatten. Wir konnten uns auch nicht richtig waschen. Wir hatten nichts. Ich denke, wenn man einem Menschen alles nimmt, was er als sein Eigentum bezeichnet, dann beginnt der Prozess der Entmenschlichung. Die Adlerwerke nutzten uns aus, in dem wir schlechte Nahrung bekamen und sehr viel arbeiten mussten, zu viel arbeiten mussten. Die Arbeitswoche dauerte von Montag bis Samstag, der Arbeitstag 12 Stunden und Sonntag arbeitete man 8 Stunden. So machte man wöchentlich an die achtzig Stunden. Zu den langen Arbeitszeiten kamen die vielen Luftalarme, die uns den Schlaf raubten, denn wir mussten in die Luftschutzkeller.
Unterernähung, Krankheit, Tod
Die Nahrung, die wir bekamen, war schlecht. Ich weiß dies noch genau: Jeder Häftling bekam zum sogenannten Frühstück etwa 250 Gramm Brot, dazu noch ein Glas Kaffee, aber das war kein richtiger Kaffee. Zum Mittag und Abendbrot bekamen wir Suppe, darin zwei kleine Kartoffeln und Kohlrüben. Und dazu noch ein bisschen Margarine. 200 Personen bekamen zwei Stücke Margarine. So gab es auf dem Teller einer jeden Person wirklich wenig. Wie viele Kalorien es waren, kann ich nicht genau sagen, aber ich glaube, das waren ein paar Hundert Kalorien. Aber ein Mensch, der schwere Arbeit leistet, braucht mindestens 2.000 Kalorien. Die Folgen waren Erschöpfung und der Tod. In den Adlerwerken war die Sterberate durch die schlechte Ernährung, die unzureichende medizinische Versorgung und die harte Arbeit unter den Außenlagern des KZ Natzweiler die größte, was auch durch die Forschung belegt ist.
Ein guter Freund von mir erlitt dort den gleichen Tod, wie viele andere Leidensgenossen. Er rief mich eines Tages zu sich und zeigte mir seine Beine. Diese waren so geschwollen, dass ich das kaum beschreiben kann. Dann sagte er mir: „Drück mit dem Finger an dieser Stelle“, was ich tat und sogleich entstand dort ein Abdruck, der noch lange blieb. Wir wussten beide, was das bedeutete. So brachen meistens sog. „Hungerödeme“ aus. Waren anfangs nur die Beine geschwollen, breitete sich die Krankheit alsbald in die oberen Bereiche des Körpers aus. So hatten wir Kameraden unter uns, die große, geschwollene Köpfe hatten. Ihre Augen waren so geschwollen, dass sie nichts sehen konnten, ihr Mund war so geschwollen, dass sie nicht sprechen konnten. Wir dachten, dass es eine Epidemie sein würde. Jeden Tag betrachteten wir uns, ob auch auf unserem Körper sich etwas ähnliches abzeichnete.
Nach zwei bzw. drei Tagen verschwand die Schwellung zumeist. Doch blieben meist nur menschliche Skelette zurück. Solche Menschen lebten noch zwei, drei Tage. Dann starben sie. Als ich diese Krankheit bei meinem Freund sah, wollte ich ihm irgendwie helfen. Da ich das Glück hatte und in der Küche arbeitete, hatte ich die Möglichkeit, die Reste an den Rändern der großen Kochtöpfe nach deren Leerung mit einem Holzlöffel zu säubern und in einer Schüssel zu sammeln. Doch das wenige zusätzliche Essen, was ich meinem Freund dadurch zur Verfügung stellen konnte, reichte nicht aus. Eines Tages kam er zu mir in die Nähe der Küche. Ich sah seinen geschwollen Kopf, seinen geschwollenen Mund und die Augen. Wir beide wussten, was dies bedeutete.
Wir konnten nicht sprechen. Wir haben einander nichts gesagt. Er hat die Küche verlassen, ging den Korridor entlang, und ich kann mich noch heute an seine sich entfernende Gestalt erinnern. Was fühlt ein Mensch, wenn er seine Beine geschwollen sieht, der weiß, dass ihn jetzt der Hungertod erwartet. Die Verwaltung der Adlerwerke und der Lagerarzt wussten, was geschieht und sie wussten, dass innerhalb von 5 Monaten 528 Menschen gestorben waren. Es stellte für sie kein Problem dar. Sie wiesen 500 neue Häftlinge ein. Sie kamen aus Buchenwald.
Die letzten Tage
Hatten sie damals etwas, was Sie durch diese Zeit durchgebracht hat, eine Hoffnung, etwas, was Ihnen gesagt hat: „Ich werde das schaffen“. Hatten Sie das?
Es gab so etwas. Ich habe mir ständig gesagt: „Du musst das aushalten“. Insbesondere am Ende, während der ganzen Evakuierung, als wir lange marschieren mussten und als ich keine Kräfte mehr hatte. Ich musste sofort aufstehen und weitergehen, weil ich wusste, dass derjenige, der das nicht schafft sofort erschossen wird. Und ich habe immer gesagt: „Du musst das aushalten“.
Sie haben erzählt, dass sie während des Todesmarsches in die Flucht traten, und es ist Ihnen und Ihrem Kameraden gelungen. Sie haben sich im Wald versteckt. Was haben sie aber danach gemacht?
Das ist eine lange Geschichte. Ich habe schon euch erzählt, dass diese Flucht eine kluge und gleichzeitig eine dumme Sache war. Damals hatte ich zu diesem Zeitpunkt keine Kraft mehr. Ich habe bemerkt, dass ich nur ganz schlecht atmen konnte, dass ich mit offenem Mund die Luft versuchte zu atmen. Das bedeutete, dass ich auch bald nicht mehr gehen konnte. Wir waren zwei Tage lang im Wald. Als wir dann schließlich so hungrig und erschöpft waren, mussten wir zu irgendwelchen Menschen gehen und um Hilfe bitten. Und es war uns auch zu diesem Zeitpunkt egal, was sie mit uns tun könnten. Wir konnten nicht mehr in diesem Versteck bleiben.
Der Abstand vom Versteck, das wir verließen, bis zu dem Ort, wo wir dem bayerischen Bauern begegneten, betrug zwei Kilometer. Und für diese Entfernung brauchten wir einen Tag. Dieser Bauer hat uns dann eine weiße Fahne gezeigt und sagte: „Ihr sucht nach Amerikanern? Sie sind nicht mehr da, sie sind schon weitergegangen“. Er hat uns empfangen, uns Essen gegeben, und wir haben in der Scheune geschlafen. Am nächsten Tag sagte er uns, wo wir amerikanische Truppen treffen könnten. In einem Dorf, Wiesenfeld, gab es ein Schloss, wo wir den Bürgermeister aber auch einen amerikanischen Offizier antrafen. Ich erzählte diesem Offizier unsere Geschichte und er befahl dem Bürgermeister sogleich uns Unterkunft und Essen zur Verfügung zu stellen. So begann der Weg unserer Rückkehr in die normale Gesellschaft und wir begannen unsere Kräfte zu sammeln und unsere Menschlichkeit wieder zu finden. Und dieser Weg, dieser Prozess war sehr lang.
Never more, non amplius, niemals mehr, nigdy więcej
Es gab verschiedene Phasen in meinem Leben. Das sage ich immerhin schon 70 Jahre seit dem Ende meiner Haft. Zu Beginn wollte ich das alles vergessen, ich wollte nicht mehr daran denken. Nach ungefähr 40 Jahren habe ich ein Buch geschrieben und heute spreche ich mit deutschen Jugendlichen, wie mit Euch, über meine Erlebnisse. Ich fühle auch, dass Ihr versteht, was ich Euch mit meinen Worten sagen möchte.
Ich möchte nur über ein Ereignis erzählen, das damit zusammenhängt und ich im letzten Jahr mit Schülern aus Sachsen erlebt habe. Nach unserem Gespräch mit ihnen habe ich 27 Briefe bekommen. Ich habe alle diese Briefe beantwortet. Und zu Weihnachten habe ich eine Weihnachtskarte mit Unterschriften von allen Schülern für mich und meine Frau bekommen. Warum erzähle ich Euch über dieses Ereignis: dieses Treffen hat eine große Bedeutung für mich. Ich sehe, wie gut, wie herzlich ich empfangen werde. Dann denke ich mir: Vielleicht ist das alles, was ich erlebt habe, nicht vergeblich. Vielleicht kommt etwas Gutes dabei raus - für euch und für mich. Und so würde ich die Antwort auf diese Frage formulieren. Ich hoffe, dass aus allem, was ich Euch mitgeteilt habe, man die Schlussfolgerung ziehen kann: never more, non amplius, niemals mehr, nigdy więcej - diesen Spruch kennt man in allen Sprachen. Wir haben heute während dieses Treffens die Möglichkeit der Wahl angesprochen. Das ist wichtig, da jeder von uns bestimmte Entscheidungen in seinem Leben trifft. Man setzt sich für etwas ein oder man protestiert wegen etwas, was man als negativ beurteilt, was man verhindern will. Ich wünsche mir, dass ich mit meiner Erzählung euch helfen werde, gute Entscheidungen zu treffen. Und das ist eigentlich alles.
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