
BILDUNGSAUSTAUSCH
KRAKOW WEIMAR

Płaszów – ein „Gedenkort”?
Im Zeitraum vom 6. bis zum 11. Mai fand in Krakau eine Begegnung von Schülern aus Weimar und Krakau statt. Die während des Treffens durchgeführten Workshops bezogen sich besonders auf die Geschichte der in der Stadt damals ansässigen jüdischen Bevölkerung in der Zeit der nationalsozialistischen Besetzung. Die gemeinsame Besichtigung und Erschließung der Geschichte von Orten wie Kazimierz (ein Viertel, in dem sehr viele Juden vor dem Krieg wohnten), im Stadtteil Plaszów selbst die ehemalige Fabrik Oskar Schindlers, die „Apteka Pod Orłem“ (dt.: „Apotheke unter dem Adler“), der „Plac Bohaterów Getta“ (dt.:“Patz der Ghettohelden“, während des Krieges „Platz des Friedens“), sowie das ehemalige Konzentrationslager Plaszow als beispielhafte Orte von Demütigung, Absonderung und Vertreibung der Juden vom übrigen Teil der Krakauer Gesellschaft, sowie ihrer weiteren zielgerichteten Vernichtung.
Durch mannigfache Aufgaben und die Arbeit am gemeinsamen Projekt setzten sich die Schüler_nnen mit den Folgen der radikalen antijüdischen Politik auseinander und hatten die Gelegenheit an einem Gespräch mit Frau Uznańska teilzunehmen, die auf der sog. „arischen Seite“, also außerhalb des Ghettos als nichtjüdische Polin die Geschehnisse erlebt hat und dank deren Schilderungen die Teilnehmer_nnen eine subjektive und menschliche Perspektive der damaligen Geschehnisse erhielten.
Obwohl viel über die Würde der in jener Zeit misshandelten und ermordeten Menschen diskutiert wird, fanden einige Orte des menschliches Leidens lange Zeit nur wenig Beachtung. Gemäß des Programms der Begegnung besichtigten wir den Gedenkort des ehemaligen jüdischen Arbeitslagers Plaszow, dessen geschichtlichen Hintergrund man ohne Zugriff auf Quellen, wie Bücher bzw. Zeitzeugenberichte, das Internet oder vor Ort in Form einer Führung durch einen Experten kaum erkennen kann. Zur Erinnerung der rund 8.000 dort ermordeten Menschen findet man auf dem Territorium des Geländes ein gigantisches, in sozialistischen Zeiten Polens gebautes Denkmal, das an die polnischen Opfer erinnert (nicht die jüdischen) sowie ein Kreuz, das Menschen als Zeichen der Erinnerung errichtet haben. Gleich beim Eintritt in das Lagergelände sieht man die Trümmer von zunächst unbekannten Bauten und vom Gras bewachsene Grabsteine von unbekannten Personen. Im Bereich des jüdischen Friedhofes stoßen wir auf einen Zeichen von Wandalismus und Verletzung der menschlichen Würde der hier ruhenden. Auf zwei namenlosen Grabsteinen sieht man deutliches Gekritzel der entweder aus Dummheit eingefallenen Wörter, oder Decknamen der Personen, die es aufgetragen haben.
Im Bereich der ehemaligen Latrinen des Lagers liegt auf dem Gras ein Haufen von gebrauchten Rasierern zerstreut und hier und da sieht man leere Flaschen von Cola oder Verpackungen von Snacks. In der Nähe sieht man ein Zelt, auch Spuren von Picknicks sind erkennbar. Diese Menschen achten wohl kaum darauf, dass unweit von hier menschliche Überreste begraben sind. Wir suchen nicht nach dem Schuldigen, der sich hier im Schoße der Natur die Zeit verbringen wollte.
Auf dem Rückweg vom ehemaligen Lager Plaszow bleiben wir an einer gelbgestrichenen und von der Sonne beschienenen Garage stehen, deren Aufschrift jedem dem oben beschriebenen Thema nicht gleichgültigen Passanten auffällt. Präziser gesagt, prangt auf der Vorderseite der Garage „Wisła sharks“ und ein nicht zweideutiges Zeichen der antijüdisch gesinnten Szene – ein durchgestrichener Davidstern. Merkwürdig, aber dasselbe Zeichen stach uns in der ehemaligen Apotheke von Tadeusz Pankiewicz in die Augen, wo den Besuchern der dortigen Ausstellung zur Geschichte des Ghettos und der Apotheke einzelne Fragmente der in der damaligen Gesellschaft verbreiteten antisemitischen Propagandalosungen beschrieben sind.
Viel Zeit ist seit den tragischen Ereignissen des Krieges vergangen. Derartige Zeichen scheinen darauf hinzudeuten, dass einige Menschen, so die Krakauer Hooligan-Gruppierung „Sharks“ die gegnerische Krakauer Fußballmannschaft mit antisemitischen Parolen und Graffiti verhöhnen möchte, vielleicht in Unkenntnis der Geschichte, vielleicht nicht ohne Grund dieses antisemitische Symbol verwendet.
„Ihr sollt glücklich sein und im Frieden leben. Bewahret euch vor dem Krieg“, wie es uns die Zeitzeugin Michaela Uznańska am Schluss des Gesprächs wünschte. Ihre Generation hätte genug gelitten, ihre Jugend verloren, die schönste Zeit im Leben jedes Menschen. Nur wenige können uns heute noch von jenen grausamen Ereignissen berichten und trotz des überstandenen Leidens Mut zusprechen, eine friedliche Zukunft aufzubauen. Das einzige Wenige, was wir für sie tun können, ist die Erinnerung an sie wach zu halten, an alle zahllosen Kinder, Frauen und Männer, die im Laufe der national-sozialistischen Holocaust-Politik ermordet wurden. Plaszow und andere für das menschliche Leiden stehende Orte dürfen nicht dem Gedächtnis entschwinden. Hiermit bitten wir alle um eine bewusste Wahrnehmung des oben geschilderten Problems und um die Ergreifung der entsprechenden Maßnahmen, da wir alle verantwortlich sind für den Erhalt des Wissens über die Schicksale der Generation, dank der wir heute im Frieden leben können.


